Samstagabend in einer Pizzeria im wilden Süden. Nein, nicht in Bayern, aber hart an der Weißwurstgrenze.
Es gibt – Sie wissen das sicher – ähnlich wie beim Chinesen so eine Art mainstream-layout für die Italiener in Deutschland. Genauer gesagt, drei:
Der eine Italiener spart sich Tischdecken und Servietten und simuliert das arme Kalabrien. Man ist seiner Gnade voll und ganz ausgeliefert, wann er die Bestellung aufnimmt, der Wein (man nehme vorsichtshalber 3-4 Aspirin vor dessen Genuss) in Gläsern serviert wird, deren Fingerabdrücke jede Spurensicherung jubeln lassen, und wann er geneigt ist, die Rechnung zu präsentieren. Selbstverständlich ist er Koch, Kellner und Küchenhilfe in Personalunion. Die Toiletten sind eine phantasievolle Weiterentwicklung der Plumpsklos und Donnerbalken.
Der Andere ist einer von den beiden kleinen Italienern, die einst von Napoli träumten und der es hier zu Einwegservietten, Plastikblumen und Wegwerftischtüchern geschafft hat. Hier bedient die Mama, die im Hintergrund die Bambini in der Küche dirigiert. Neben einigermassen saubere Toiletten (Bauhaus-Klebe-Kacheln) wird meist noch ein Waschbecken ohne Seife angeboten).
Der Dritte letztendlich stammt aus Milano, Bologna oder Florenz und eifert der Ausstattung deutscher Mittelklasserestaurants nach: Bequeme Stühle, Holzofen, echte Servietten und Kellner auf Mindestlohnbasis. Bedienung und eine umfangreiche edle Speisekarte inbegriffen. Wobei auch hier die Laune der Mama ausschlaggebend fürs Serviertempo ist. Die Toiletten laden zur längeren Verweildauer ein, ein extra Obulus wird derzeit (noch) nicht verlangt.
Nachdem wir – das macht man halt auch nicht! – unreserviert Einlass und Nahrung begehrt haben, werden wir etwas widerstrebend an Tisch Nummer fünf geleitet. Das ist der Tisch, den man landläufig auch als Katzentisch bezeichnet und den man gerne wieder räumt.
Mylady ( the love of my life) bestellt sich eine kleine Pizza, zuzüglich einen kleinen Salat (weiß sie denn nicht, daß Italiener alles können außer Salat?)
Mann (ich höchsselbst) bestellt eine große Pizza, ich muß ja schließlich meine Linie halten. (Salat, was ist das?)
Sie sehen, wir sind ein typisches Pärchen in den besten Jährchen beim arrivierten Italiener.
Nebenan (links von mir) liegt ein alleinerziehender Vater (ca. 40, gut gefüttert, dicke Brille, Glatzkopf mit sorgfältig gepflegtem Resthaar) in den letzten Erziehungszügen. Sohn und Tochter haben Pizza fertig (bis auf die Ränder, die zu hart für die kleinen Beißerchen von heute sind) und verlangen vom Wochenendpapa lautstark ein Eis. (Wissen die denn nicht, daß seine Ex den größten Teil seines Gehalts schluckt?)
Soeben kommt ein Pärchen Eltern herein und wird zielstrebig rechts von uns plaziert. Die Mama ist deutlich schwerer als der Papa, setzt ihren Ich-Bin-Stillende-Mutter-Blick auf, schaut in die Runde (widerspricht wer?) und beginnt das Kleine an die rechte entblößte Brust zu legen.
Schließlich in Blickrichtung geradeaus führt ein kahler Mann (Midlifecrisis, kahl, Bauchansatz) seine schlecht und schlampig blondierte Freundin aus, die etwa halb so alt wie er sein dürfte.
Und in der Ecke sitzen die unvermeidlichen Tanten, die dort immer sitzen und Schwarzwälderkirschtorte und Tiramisu und Kirschtorte und Tiramisu und Torte und Tira…usw. in sich hinein schaufeln. Das Kampfgewicht der Damen stimmt, nur ihre Männlein haben sie schon lange überlebt.
Die Kinder sind beim Eis angelangt und kleckern die Schmelze auf Hemd, Bluse und Hosen. Der eisige Blick von Papa schweift synchron zum rechten Bein, das ungeduldig wippt und wartet, daß es mitsamt dem linken Bein die Lokalität verlassen darf. Die Kinder schlotzen extra langsam. Sie nehmen den zeitweiligen Ernährer und dessen Sorgen nicht wahr. Kleine Monster halt.
Die Pizzen kommen. Die andauernd spannende Frage ist immer die nach der Qualität der Messer. Haben Sie schon mal mit Messern Pizza gegessen, die diesen Namen verdient haben? Auch diese Pizzeria reiht sich in die lange Reihe ein, die nur Attrappen bereitstellen.
Der kahle Beau hat bisher sein blondes Anhängsel vollgeschwafelt und teilt sich nun eine Pizza mit ihr. Sie kennt immerhin Messer und Gabel, er erklärt die Pizza zum Fingerfood. Zwischendurch streicht seine nun ölige Salami-Schinken-Pizza-Hand über die Glatze, die nun zunehmend speckig strahlt. Da er sein Mädel ab und zu streichelt, während er issafelt (=ißt und schwafelt), bekommt auch ihr Haar sein Fett ab.
Die Tanten bestellen eine Runde Kirschwasser und verschnaufen, während die Tortenteller nachgefüllt werden.
Das Baby muß nach einer gehörigen Portion Muttermilch aus der rechten Brust ein Bäuerchen machen und beginnt zu kreischen. Die Mama knöpft ihr kariertes Hemd zu und befiehlt lächelnd, leise, aber bestimmt, daß der ausgemergelte Papa nun eine Runde mit dem Kleinen um die Tische zu drehen hat.
Den Kampf mit den Pizzen scheinen wir – geübt im Gebrauchen von Attrappenmessern, auch heute zu gewinnen.
Der Papa packt seine Kleckerkids, studiert gequält die Rechnung, begleicht diese und entschwindet.
Der Tisch wird von einem Paar mit Sohn eingenommen. Sollte man meinen, es gäbe noch so was wie gute Manieren, so wird mann auch hier enttäuscht. Die Mama hilft dem Sohn aus der Jacke, ihr Mann drückt ihr seinen Mantel in die Hand und die Gentlemen setzen sich, währen die Lady sich selbst hilft und die Jacken eingesammelt zur Garderobe bringt.
Apropos Gentleman: Der Midllife-krisengeschüttelte Beau ist auf die Toilette entschwunden und taucht, sich an seinen Eiern kratzend, wieder in der Tür auf. Sie zieht es vor, gequält zu lächeln, während er sich besitzergreifend wieder zu ihr setzt. Sein Blick schweift in die Runde: Irgendwer hier, der ihm den Oberbockstatus streitig machen will?
Während wir auf die Rechnung warten, bewundern wir die Kitschbilder an der Wand. – Alle erzählen sie uns italienische Stories:
Der Vesuvausbruch (im Hintergrund), davor die fliehenden Fischerboote in wogender See vor Neapel darf dabei genausowenig fehlen wie die Villa in der Toscana, vor der ein Maultierkarren steht und ein Romeo seine Liebste anhimmelt.
Auch die raphaellesken mamas und ragazzas vor einer mit opulenten Früchten gedeckten Tafel sind in Gold gerahmt und machen in ihrer Schwülstigkeit allein schon bei der Betrachtung Kopfschmerzen.
Die mama des Hauses hat uns streng gemustert, die Rechnung königinnenhaft vor mir plaziert und leise – ihr Ton duldete nicht den kleinsten Widerspruch – gefragt, ob es uns gemundet habe.
Selbstverständlich, lächelt en wir fein zurück.
Während die Tanten ihr Kampfgewicht weiter steigerten, der Beau mit fettigen Fingern einen letzten Brösel seiner Pizza seinem Liebchen ins Ohr flüsterte und die Eltern mit Sohn sich wortlos anschwiegen, verabschiedeten wir uns freundlich auch von der Mami, die auf die Rückkehr von Papi und dem Baby wartete. Dieser fischte – so ein letzter Blick – an den Tischen 8-10 Komplimente für das süße Ding.
Ich helfe meiner Lady in ihre Jacke, bedanke mich für den Abend und ein gutes Gespräch. Dann geleite ich sie nach Hause.