Eigentlich ist das schon ganz amüsant, was da die Gegner von S21 so von sich geben, wenn der Tag lang ist. Allerdings: Die dortige Stimmungsmache hat darüber hinaus schon längst sämtliche Grenzen des guten Geschmacks überschritten, was im Folgenden anhand der Beiträge in der Community des „Freitag“ hier dokumentiert werden soll:
Tom Strohschneider, Redakteur des „Freitag“ titelt: „Wie in Nordkorea – Heftige Kritik nach Stuttgarter Polizeieinsatz“
und seriousguy veröffentlicht bereits Tage vorher einen Beitrag, der mit: „Wieviel Tote fordern Sie, Herr Grube..?“ überschrieben ist.
Mein Lieblingssatz darin lautet:
“ Schämen Sie sich nicht, den Bürgern einer Stadt einen Park zu stehlen und zu zerstören, der ihnen vom König geschenkt wurde und den sie so sehr lieben, dass sie ihn nicht einmal in den Hungerwintern nach dem Kriege zu Kleinholz gemacht haben?“
Ist er nicht herrlich?
Mcmac spricht mittlerweile von „Baumexekutionen“ und seriousguy zieht Parallelen zu den Nazis:
„Die Wahrheit ist wohl eher, dass der Erfolg, den die Nazis mit der Ausrottung der kulturellen und intellektuellen Elite Deutschlands hatten, bis heute seine ebenso traurigen wie mediokren Folgen zeitigt. Was die allierten Bombardements in Stuttgart gnädig stehen ließen, das rotteten über die Jahre konservative Politiker im Verbund mit kulturlosen Architekten, Stadtplanern und Ingenieuren aus.“
(Sie)…stellen sich in eine Tradition mit „Planungen unter dem Hakenkreuz Hitlerdeutschlands – für ein Gauforum und eine Park-Autobahn in der Schlossgartenanlage.“(4) Was Hitler nicht schaffte, die Herren vollenden es auf ihre Weise.
Und weiter:
„Mit der Zerstörung des Schlossgartens aber wird meine Heimatstadt zerstört. Der Tod von Stuttgart hat heute, am 1. Oktober 2010 gegen 01:00 Uhr begonnen.“
Ab und zu mischt sich eine vernünftige Stimme (Querdenker) in die hysterische Berichterstattung über Stuttgarts Untergang, der offensichtlich kurz bevorsteht:
Wenn die ganzen „ganz normalen Stuttgarter Bürger“ und „ehrwürdigen Menschen“ (O-Ton Leser mcmac) doch mal so engagiert bei wirklichen Problemen demonstrieren würden. Die Dynamik der Proteste ist aber schon spannend zu beobachten.
Wieviel wären wohl auf die Straße gegangen, wenn „Stuttgart 21“ ein Autobahnprojekt gewesen wäre? Wären die Kinder von MB und Porsche-Mitarbeitern in der ersten Reihe gewesen? Werden jetzt eigentlich Kinder in der Schule gemobbt, die nicht „dagegen“ sind?
Lisi Stein gibt richtig zu bedenken:
Wer demonstrierte in Stuttgart als in den 70ern die HFG in Ulm geschlossen wurde? Wer setzte sich gegen den Abriß der Weissenhofsiedlung ein, das waren weniger die wohlfeilen Stuttgarter Bürger? Wer kämpft in diesem Land gegen Bebauungspläne ohne Begrünung? Nirgendwo ist die „Baumarkthausbaukultur“ ausgeprägter als in B-W. Nirgendwo gab es in den 70ern so viel Geld für hässliche Flachdach-Waschbeton-Fassadenschulen und nirgendwo konnte man so leicht Alleen fällen, Fachwerkhäuser abreißen, Autobahnen bauen (natürlich ohne Tempolit, freie Fahrt für freie Bürger) und Großprojkete initiieren als in B-W. Da staune ich plötzlich über die „Anhänglichkeit“ zu Paul Bonatz` Bahnhof, den der gemeine Stuttgarter Bürger bisher eher mit dem Attribut „der isch aber net grad schee“ versah.
Egal, ob Stuttgart brennt, ob es Blut oder Tote gibt, oder ob Sie es mit vereinten Kräften schaffen, deutsches Bürgertum in der Tradition des Bauerjörg wieder einmal zu entmündigen. Durch das, was Sie bis jetzt schon angerichtet haben, haben Sie Stuttgart international zu etwas gemacht, das es in Wahrheit nie war: zur barbarischen Provinz.
Jörg Augstein bemerkt ebenfalls richtig:
Ich gehe allerdings schon davon aus, dass die Demonstranten in einem doch eher gutbürgerlichen Stuttgart bisher keine Ahnung hatten, dass es nicht gut für Kinder ist, gegen die Staatsmacht anzutreten. So gesehen: Hallo in der richtigen Welt!
Ich finde es übrigens auch nicht legitim, Kinder überhaupt quasi „einzuspannen“. Aber das hat wiederum nix mit Stuttgart im Speziellen zu tun.
Zum Thema instrumentaliserte Kinder verweise ich im Übrigen auf meinen Blog hierzu, der beim Freitag ebenso nachzulesen ist.
B.V. fasst die Stimmungsmache so zusammen:
Nordkorea, Stalingrad, Nazi-Londonbomben…ist ja schon das Mindeste was man an Vergleichen aufbauen muß, um die brutale Wirkung von ein wenig Pfefferspray in den Augen von verzärtelten Schwabendonstranten zum Ausdruck zu bringen.
Leehlah wirft auch Vernünftiges ein:
Es geht um einen verdammten Bahnhof.
Was soll denn noch passieren, wenn gegen etwas Wichtiges demonstriert wird?
Worauf ich so geantwortet habe:
Richtig.
Um einen Bahnhof.Und nicht um Nordkorea, nicht um das Bombardement von ganz Stuttgart und ähnliche polemische Ausfälle, die hier laufend zu lesen sind. („Exekution von Bäumen“ etc.)
Und es geht um die Schnellbahntrasse Ulm-Stuttgart, hinter der sehr sehr sehr viele ebenso ganz normale Bürger stehen.
Ich wünschte mir mehr Ehrlichkeit in der Diskussion. Eigentlich will man Schwarz-Gelb abwählen und tobt sich dabei an einem insgesamt guten Zukunftsprojekt aus.
Nebenher werden Autobahnen gebaut, die Mieten erhöht, die Hartzer gegängelt, die Atomkraftwerke salonfähig gemacht u.v.m. – Lauter wirklich wichtige Sachen.
Aber der alte versiffte Backsteinbau (ja, ich weiß, er ist aus Muschelkalk!) mit seinem potthäßlichen Parkplatz davor und dem Mercedes-Stern auf dem Dach… daran geilt man sich auf.
In einer für mich schier unfassbar unerträglichen Weise, die die Eskalation leider nur noch weiter anschürt.
Es ist wirklich geschmacklos, unverschämt und ignorant, wenn die unheilige Allianz aus Müsli-Schickeria, die seit Jahren den Arsch bei der Verschandelung des „Ländles“ nicht mehr hochkriegt und den Blut-und-Boden-Fanatikern, die Stuttgart offensichtlich schon unter einem gemeinsamen Bombardement von Alliierten und Nazis versinken sehen sowie einigen Bahnhofsromantikern und einem Schock voll Linker, die eigentlich Schwarz-Gelb aus dem Amt heben wollen, ständig behauptet, sie seien das Volk.
Definitiv möchten die Anrainer von Ulm bis Stuttgart die Schnellbahntrasse, um nicht in einen Verkehrsschatten zu geraten, der witrschaftliche Stagnation bedeutet. Und dabei spreche ich von Funktionsträgern ebenso wie von einer großen Anzahl einfacher Menschen, die dies auch tagtäglich in vielen Leserbriefen in den lokalen Printmedien dokumentieren.
Also – ohne anecken zu wollen-mir ist die ganze Diskussion und der Aufruhr nicht ganz verständlich.
Klar, wenn Mitwirkungsrechte verletzt worden wären, könnte ich Aufregung -in Grenzen verstehen-, mir san ja kene Untertanen mehr; aber im Prinzip bin ich für den Umbau des Bahnhofes; ich denke, der bringt nicht nur Jobs, sondern sichert und stärkte die örtliche Infrastruktur .
Also warum dieser Aufruhr. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass der gesamte technische Fortschritt, wirtschaftliche Expansion an sich als des Teufels internalisiert wurde.
Wat soll dat??? oder was oder wie???
LikeLike