Fragt man sich angesichts des anhaltenden Terrors von Al Quaida, wie und warum diese es immer wieder schaffen, fanatische Selbstmörder auszubilden und einzusetzen, so kommt man nicht an dem „Alten vom Berge“ vorbei, der ganz offensichtlich das Original jener Drahtzieher ist, die spätestens seit dem 11. September ihr Unwesen treiben. Osama bin Laden & Co sind allenfalls Coverversionen von Aloeddin, dem Alten vom Berge.
In seinem „Milione“ berichtet Marco Polo:
„Der Alte vom Berge“ behauptete, als direkter Nachkomme des Propheten Mohamed, über die Gabe zu verfügen, schon als Lebender direkten Zugang zum himmlischen Paradies zu haben. Auserwählte Krieger wurden mittels Drogen in einen Rauschzustand versetzt und in einen geheimen Bereich seiner Bergfestung Alamut gebracht, in welcher Ihnen die Freuden des Jenseits kurzzeitig gewährt wurden.
Es gab Wein (für gläubige Moslems ist bekanntlich Alkohol verboten), schöne Frauen die sexuell für jeden Wunsch zur Verfügung standen, sowie Speisen, welche die spartanisch erzogenen jungen Männer noch nie gesehen, geschweige gegessen hatten.
Durch ein starkes Schlafmittel betäubt, erwachte der zukünftige Attentäter später wieder auf seiner steinigen Lagerstätte.
Sehnsucht nach diesem Paradies war danach das alles beherschende Denken.
Die Kämpfer kannten keine Angst vor dem Tode, sondern im Gegenteil, sie lebten nur noch für dieses Ziel.
Um ganz sicher ins Paradies zu kommen, mußte nur noch für eine Allah (bzw. seinem Stellvertreter, dem Alten) gefällige Tat gestorben werden.
Während der Gründer der Sekte Hassan bin Sabbah (1090) seine Mordkommandos noch zu moslemischen Würdenträgern schickte, welche seiner Meinung nach vom wahren Propheten abwichen, befahlen spätere Führer Morde an christlichen Fürsten die als Kreuzritter in den Orient eingefallen waren. Während dies noch den Hauch von gerechter Abwehr gegen einen feindlichen Aggressor trug, erpressten die Assassinen im 12. Jahrhundert von den europäischen Fürstenhöfen Schutzgelder dafür, dass sie niemanden umbrachten und drohten ansonsten mit Mord, der dann auch postwendend ausgeführt wurde.
Die Taten selbst wurden mit den berüchtigten Krummdolchen der Assassinen begangen.
Der Täter, meist noch unter 20 Jahre alt, verkleidete sich gern als Mönch oder Messdiener, und erdolchte den Fürsten oder Bischof bevorzugt in einer Kirche beim beten.
Die Täter versuchten danach nicht einmal zu fliehen, sondern ließen sich, das Paradies nahe, bereitwillig von der Leibwache in Stücke hauen.

El Alamut
Der Alte vom Berge – sein Ende und dessen Ursache ist allerdings umstritten. Johannes Ullrich Beil berichtet in seiner Kurzgeschichte „Der Eingang ins Paradies“ von einem namenlosen sufischen Autor, der folgendes schildert:
„Aloeddin selbst vermied es strikt, in das von ihm geschaffene „Paradies“ zu gehen, er lebte zunehmens asketisch. Es scheint, als sei die Machtgier gleichzeitig mit der Askese gewachsen, als habe er sein Leben nur mit einem doppelten Betrug ertragen können – indem er seinem Schwindel, ein Prophet zu sein, nach und nach selber erlag, Betrüger und Betrogener zugleich.“

Hassan Ibn Sabbah - Der Alte vom Berge
Und, so der sufische Autor weiter:
„Gerade das Gelingen des Tricks mit der Paradiesversion habe das Reich des Alten vom Berge auf seltsame Weise geschwächt. Nicht die Übermacht Ulaus, des Bruders des Großkhans, habe dazu geführt, daß die feindlichen Truppen schließlich in den Palast eindrangen, sondern die im Grunde zersetzende Sehnsucht der Anhänger Aloeddins, ihr Leben hinzugeben.“
Als die Truppen des Großkhans plündernd, mordend und vergewaltigend Alamut eroberten, forderten sie – so die sufische Quelle – den Alten vom Berge auf, ihnen den Eingang zum Paradies zu zeigen. Als sie dieses betraten, „ertranken sie gleichsam in der Begierde ihrer eigenen Augen“. Aloeddin sah zu, wie sie sich zwischen den Spiegelwänden, im gleißenden Licht der Kronleuchter, im Labyrinth der gläsernen Gänge und Brücken verloren, Wein trinkend und in den Armen der durch die lange Belagerung mager gewordenen Mädchen. Dann schloß er das paradiesische Labyrinth und konnte, da er Einziger den Ausgang aus dem Paradies wußte, seinen Häschern entkommen…
Soweit Marco Polo und die interessante Erzählung von Ulrich Johannes Beil.
Unbedingt erwähnenswert ist zudem Wladimir Bartols wichtiges Buch „Alamut – Ein Roman aus dem alten Orient“ erschienen in deutscher Übersetzung 1992 bei Lübbe. Der slowenische Autor, der den spannenden historischen Roman 1938 schrieb, richtete seine Parabel über die Wirkweisen der Diktatur gegen die damaligen Diktatoren. Bartols Idee, einen Ayatollah des persischen Mittelalters zum Protopypen des Tyrannen zu machen, ist natürlich auch heute topaktuell. Und einzigartig ist Bartols Roman auch deswegen , weil er den Alten vom Berge von seiner menschlichen Seite zeigt. Erst 1988 wurde sein Roman wiederentdeckt und sollte in jedem guten Buchregal stehen.
- Quellen und Zitate sind aus:
Marco Polo, Il milione
egonet.de, Nov 2001,
Ulrich Johannes Beil, Der Eingang ins Paradies, suhrkamp TB 1566
Wladimir Bartol, Alamut – Ein Roman aus dem alten Orient, Lübbe 1992